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Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Bildung für Alle

 

Die internationale Gemeinschaft hat sich mit der „World Declaration on Education for All“ (1990) von Jomtien und den Millenniums-Entwicklungszielen (2000) verpflichtet, allen Menschen eine Grundbildung zukommen zu lassen. Damit sollen die internationalen Bemühungen bewirken, dass das Menschenrecht auf Bildung innerhalb der nächsten fünf Jahre umgesetzt wird. 

Gleichzeitig ist deutlich geworden, dass Bildung ein wesentliches Element einer nachhaltigen Entwicklung ist. Daher erfordern die internationalen Bildungsversprechen „Bildung für Alle“ (Education for All – EFA) und die Anstrengungen im Rahmen der Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ein gemeinsames Vorgehen, um die gesetzten Ziele zu erreichen.

Beide Initiativen “Bildung für Alle” und “Bildung für nachhaltige Entwicklung” müssen sich an dem Anspruch messen lassen, wirklich alle Menschen zu erreichen. Zwar sind die Zahlen der Kinder, die keine Schulbildung erhalten, rückläufig. Aber noch immer gehen nach dem neuesten Global Monitoring Report der UNESCO 72 Millionen (2007) Kinder nicht zur Schule. Hauptgründe dafür sind Armut, Geschlecht, Behinderung, HIV/Aids, Kinderarbeit und Zugehörigkeit zu indigenen Minderheiten. Besonders benachteiligt sind dabei Kinder und Jugendliche mit Behinderung. Nach Schätzungen der UNESCO besuchen in Entwicklungsländern lediglich 1-5 % der Kinder und Jugendlichen mit Behinderung eine Schule.

Bildung für Alle bedeutet per definitionem inklusive Bildung. Es ist ein Bildungskonzept mit dem Anspruch, allen Kindern und Jugendlichen eine qualitativ gute Bildung zukommen zu lassen – unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion, ethnischer Zugehörigkeit, geographischen Gegebenheiten, besonderen Lernbedürfnissen und sozialem oder ökonomischem Status. Gleichzeitig bietet das Konzept der inklusiven Bildung die Chance, alle Menschen mit einer Bildung für nachhaltige Entwicklung zu erreichen und diese auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu verankern.  

Wie bereits oben erwähnt, zählen Menschen mit Behinderung auch im Bildungsbereich zu den besonders marginalisierten Gruppen. Dies gab Anlass, sich auf einer dreitägigen Tagung unter dem Motto “Bildung ohne Ausgrenzung” der Einbeziehung von Menschen mit Behinderung in oben skizzierte Prozesse zu widmen. Das Thema wurde dabei aus der Perspektive des Südens und der des Nordens betrachtet. So war ein Gesichtspunkt die Verantwortung der Industrienationen, ihre Lebensstile im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu verändern.  

Globales Lernen an Förderschulen

Am ersten Tag lag der Blick auf Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in Deutschland mit der Fragestellung, in wie weit sie in das Globale Lernen einbezogen sind. Aufgrund der Tatsache, dass in Deutschland noch ca. 85 % der Kinder und Jugendlichen mit Behinderung Förderschulen besuchen, standen diese im Fokus des Interesses. Mit einem Nationalen Aktionsplan unterstützt die Bundesregierung aktiv die Dekade “Bildung für nachhaltige Entwicklung”. Die Konferenz der Kultusminister (KMK) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) haben zudem 2007 einen Orientierungsrahmen “Globale Entwicklung” verabschiedet. Dieser zeigt auf, wie das Globale Lernen in den Schulunterricht aufgenommen werden kann. Sonderschulen/Förderschulen und integrativer Unterricht werden explizit genannt.

Wie globales Lernen an Förderschulen aussehen kann, wurde auf der Tagung mit beeindruckenden Beispielen vorgestellt. Bildungsstätten aus dem ganzen Bundesgebiet stellten vor, wie Schüler/-innen mit Behinderung sich mit Armut, fairem Handel oder der Lebenswirklichkeit von Gleichaltrigen in Entwicklungsländern beschäftigen. Die Vielfalt der gezeigten Aktivitäten reichte dabei von Spendenläufen für die Anschaffung von benötigten Materialien und Hilfsmitteln in Entwicklungsprojekten, die von Schülerinnen und Schülern organisiert wurden, über außerschulische Bildungsangebote wie das globale Klassenzimmer, bis hin zu einem Schüleraustausch mit einer Partnerschule in Tunesien.

Allerdings sollten die im Rahmen der Tagung vorgestellten Projekte nicht darüber hinwegtäuschen, dass bislang nur ein sehr kleiner Teil der Förderschulen am Globalen Lernen teilnimmt, wobei es zwischen den einzelnen Bundesländern bedeutende Unterschiede gibt. Auch in der Ausbildung von SonderschullehrerInnen finden globale Themen noch keinen Platz.

Bildung für alle – im Nord-Süd-Dialog

Die folgenden Konferenztage widmeten sich der Frage, wie weltweit Bildung für Alle unter Einbeziehung der bisher vernachlässigten Gruppen erreicht werden kann. Die UNESCO hat ausgehend von der Salamanca-Konferenz 1994 das Bildungskonzept der inklusiven Bildung vorgestellt: Es soll allen Kindern und Jugendlichen eine qualitativ gute Bildung zukommen zu lassen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion, ethnischer Zugehörigkeit, geographischen Gegebenheiten, besonderen Lernbedürfnissen, sozialem und ökonomischem Status. Dieses Konzept hat in den letzten Jahren weiter an Bedeutung gewonnen, um die Bildungsziele bis 2015 tatsächlich zu erreichen.

Wenn auch die Bildungssituation von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in Entwicklungsländern noch besonders schwierig ist, so hat sich ihre rechtliche Situation durch das Inkrafttreten der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung im Jahr 2008 verbessert. Mit Art. 24 haben sie ein Recht auf inklusive Bildung erhalten, wodurch das bereits durch die allgemeine Erklärung der Menschenrechte verankerte Menschenrecht auf Bildung noch einmal spezifiziert wird. Neben der Bundesrepublik Deutschland haben mittlerweile 81 Staaten die UN-Konvention ratifiziert, darunter viele Staaten im globalen Süden.

Angesichts bestehender rechtlicher Rahmenbedingungen stellte sich daher an diesen beiden Konferenztagen die Frage, wie inklusive Bildung im Süden zur Erreichung der EFA-Ziele beitragen kann. Ein großes Hindernis stellt dar, dass sie noch nicht ausreichend in die internationalen Bildungsstrategien aufgenommen worden sind – weder in die Fast Track-Initiativen noch in die Millenniums-Entwicklungsziele. Aufgrund dessen gibt es nur begrenzte Ressourcen, um in diesem Bereich signifikante Fortschritte zu erzielen.

Dennoch existieren in vielen Ländern bereits inklusive Ansätze, die im Rahmen der Tagung vorgestellt wurden. Dabei wurde ein Bogen geschlagen von der vor-schulischen Bildung, über die Primar- zur Sekundarstufe bis zum Übergang in den Beruf, wobei der Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche mit Behinderung gelegt wurde.  

In den Beiträgen wurde deutlich, dass eine vorschulische Bildung und Förderung von Kindern mit Behinderung eine notwendige Voraussetzung ist, wenn der Übergang in die Primarschule gelingen soll. Damit Kinder und Jugendliche gemeinsam beschult werden können, ist es erforderlich, die Voraussetzungen einer inklusiven Schule bzw. eines inklusiven Schulsystems zu schaffen, das den unterschiedlichen Lernanforderungen der Kinder entspricht.

Im Gegensatz zu Deutschland ist die gemeinsame Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung in anderen Ländern viel weiter voran geschritten. Einige Länder oder Provinzen haben es geschafft, ihr Schulsystem zu einem inklusiven zu verändern. Ein positives Beispiel aus dem Norden ist sicherlich die Provinz Brunswick in Kanada. Aber auch Brasilien ist auf einem guten Weg, das Schulsystem inklusiv zu gestalten. Daneben existieren eine Reihe von Projekten und Programmen internationaler Organisationen, die die Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung voranbringen. Dabei gibt es noch kein einheitliches Rezept, wie Schulen und Schulsysteme verändert werden können, um einen qualitativ guten, gemeinsamen Unterricht zu erreichen. Zu unterschiedlich sind die Ausgangsvoraussetzungen und Bedingungen, die in den verschiedenen Ländern gegeben sind. Übergreifend lassen sich aber die folgenden Punkte festhalten, damit gemeinsamer Unterricht gelingen kann:

-          inklusive Bildungspolitik

-          inklusive Lernumgebung

-          angemessene Bezahlung der Lehrkräfte, Unterstützungsangebote und   Ausstattung mit Büchern, Materialien in Braille, Gebärdensprache, etc.

-          entsprechende Aus- und Fortbildungen der LehrerInnen

-          adäquate Lehr- und Lernmaterialien

-          lokal relevantes Curriculum und faire Beurteilungsprozesse

-          Kind-zu-Kind-Prinzipien

-          Engagement der Eltern und der Gemeinschaft

-          ausreichend ernährte SchülerInnen

-          frühkindliche Bildung

-          positive Einstellungen auf allen Ebenen

Mit den vorgestellten inklusiven Projekten aus Indien, Brasilien, Ruanda, Nicaragua, Bangladesch und Äthiopien wurde sehr deutlich, dass im Primarschulbereich einiges geschieht, dies aber im Sekundarbereich noch kaum Fortsetzung findet.

Es gibt einzelne Länder, die Kinder und Jugendliche mit Behinderung inklusiv beschulen, wobei bislang kaum Bedingungen geschaffen werden konnten, die eine gute Sekundarbildung ermöglichen.

Dafür, wie der Übergang von der Schule in den Beruf für Jugendliche mit Behinderung gestaltet werden kann, liegen andererseits positive Erfahrungen vor. Hier hat sich der Ansatz der gemeindenahen Rehabilitation bewährt, der das soziale Umfeld einbezieht oder auch breitenwirksame und gemeinschaftsübergreifende Programme, die die Einbeziehung von Jugendlichen mit Behinderung ermöglichen. Auch spielen Ansätze und Programme non-formaler Bildung eine wichtige Rolle.

Fazit

Bildung ist ein Schlüsselelement im Kampf gegen die Armut und eine wichtige Voraussetzung, um es allen Kindern zu ermöglichen, ihre Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen. Inklusive Bildung ist dabei das entscheidende Konzept, das die Realisierung der EFA-Ziele ermöglicht und in der Lage ist, allen Kindern und Jugendlichen eine qualitativ gute und nachhaltig ausgerichtete Bildung zukommen zu lassen. In den verschiedenen Ländern sind zwar noch unterschiedlich weite Wege zurückzulegen, wobei einige südliche Länder in der Umsetzung von inklusiver Bildung deutlich weiter sind als Deutschland. Dass die TeilnehmerInnen von den Erkenntnissen des Südens lernen konnten, war eine wichtige und eindrucksvolle Erfahrung, die die TeilnehmerInnen mit nach Hause nahmen.

 

Die Tagung „Bildung ohne Ausgrenzung“ wurde gemeinsam veranstaltet von Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit (bezev), Enablement, Handicap International und der Kindernothilfe und fand vom 25.-27. November 2009 in Bonn statt. Die Vorträge der Tagung sowie weitere Informationen zur inklusiven Bildung und zum Globalen Lernen sind unter www.bezev.de abrufbar.

Autorin: Gabriele Weigt